Die folgenden Informationen ergänzen das Buch „Die Geschichte der Gehörlosen in Bayern“ (erschienen 2021). Es handelt sich um die Lebensgeschichte des Gehörlosen Gottfried Weileder, der für seinen Einsatz in der Gehörlosenwelt mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde.

Gottfried Weileder

Eine Persönlichkeit der bayerischen Gehörlosengeschichte

Scharlach war der Grund, dass Gottfried Weileder 1926 im Alter von 7 Jahren sein Gehör verlor. Sein Leben hat er dem Kampf um die Anerkennung und Förderung gehörloser Menschen gewidmet.

Abb.1: Gottfried Weileder *1919-†2018

In damaliger Zeit wurden Gehörlose konsequent ausgeschlossen und als behindert angesehen. Mit seinem Wirken hat Gottfried Weileder versucht, das festgefahrene und voreingenommene Bild des Gehörlosen in der Gesellschaft zu verändern – auf wissenschaftlicher, sozialpolitischer, institutioneller, pädagogischer und gesellschaftlicher Ebene. Der wichtigste Schritt hierbei war, dass die Gebärdensprache offiziell als Sprache anerkannt wird.

Erst wenn Gehörlose als Teil einer sprachlichen Minderheit gesehen werden, werden sie politisch und gesellschaftlich anders behandelt. Die individuellen Talente und Fähigkeiten können auf dieser Grundlage endlich auch institutionell gefördert werden. Er wird nicht mehr – so wie früher – abgeschoben und ausgeschlossen.

Ist der Gehörlose Teil einer sprachlichen Minderheit, mit einer Sprache, die offiziell politisch anerkannt ist, kann sich das gesellschaftliche Bild auf Dauer verändern. Der Fokus wird auf eine erschwerte Kommunikation und Sprache gelenkt, nicht auf eine eventuelle geistige Beeinträchtigung.

Anmerkung: Erst im Jahr 2000 erkennen 20 Staaten die Gebärdensprache als eigenständige Sprache an. Deutschland zieht mit dem Behindertengleichstellungsgesetz vom 27.04.2002 nach.

 

Das außergewöhnliche Leben des Gehörlosen Gottfried Weileder

Geehrt mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande

Die folgenden Abschnitte versuchen das Engagement von Gottfried Weileder für Gehörlose stichpunktartig zusammenzufassen. Sein ehrenamtlicher und unentgeltlicher Einsatz für die Gehörlosenwelt ist beeindruckend und außergewöhnlich.
Er leistete dies neben seinem Beruf als Kartograph und Ausbilder am Bayrischen Landesvermessungsamt München. Die hinterbliebene Familie stellt das zugehörige Bildmaterial gerne zur Verfügung.

 

1. Gehörlosenbildung

„Die Erwachsenenbildung der Gehörlosen ist mir eine Herzensangelegenheit und an der Gründung der Arbeitsgemeinschaft gehörloser Hochschuldozenten“ war ich beteiligt.“ (Gottfried Weileder)

Die ersten Vorträge allgemeinbildender Art für erwachsene Gehörlose fanden 1943 im Heim des Bayerischen Taubstummen-Fürsorgeverbandes in der Münchener Haydnstraße statt. Sie wurden durch Kriegseinwirkungen beendet. Nach Kriegsende verstärkt sich der Einsatz für den nötigen Gebrauch der Gebärden in den Gehörlosenschulen, bei Vorträgen, in kirchlichen Veranstaltungen und im Elternhaus gehörloser Kinder.

Viele Vorträge in Elternversammlungen über Gebärdengebrauch, auch bei hörenden Eltern, bei Geschwistern, in der Früherziehung, im Kindergarten. Die Vorträge fanden bei Seminaren und Versammlungen der „Elternvereinigung von Eltern gehörloser Kinder Deutschlands" in München, Köln, Bonn, Münster, Straubing, Altötting statt.

1957 führte Gottfried Weileder mit Hilfe des Leiters Dr. Fuchs die Münchener vhs-Kurse für Gehörlose ein. Von dieser Zeit ab ständige Kurse in Allgemeinbildung bis 1980. Jedes Jahr in zwei Semestern 15 Wochentage Unterricht mit Gebärdenbegleitung.  Ein besonderer Kurs über die „Kulturgeschichte Ägyptens“ endete mit einer Reise von 14 Gehörlosen nach Griechenland und Ägypten.

Abb.2: Zeitungsausschnitt vhs-Kurse.

 

Abb.3: Gruppe von 14 Gehörlosen auf dem Weg nach Ägypten; Weileder mit rotem Pullover.

 

Seit 1964 war er Mitarbeiter beim „Volksbildungswerk Straubing“; bis 2001 gab er regelmäßig an zwei Wochenenden im Jahr Kurse für Gehörlose.

Ab 1965 Aufbau eines Fernsehprogramms für Gehörlose mit Enzo von Cramon; heute bekannt unter „Sehen statt Hören“; 1975 wird die 1. Folge von „Sehen statt Hören“ gesendet; 18 Jahre lang Gebärdenberater beim BR mit Beantwortung der Zuschauerbriefe.

Über 30 Jahre lang bildete er die gehörlosen Dienstanfänger und Beamtenanwärter für das bayrische Landesvermessungsamt in München aus.

Abb.4: Gottfried Weileder als Ausbilder des Landesvermessungsamts München

 

 

2. Wissenschaftliche Aufklärung und sozialpolitisches Engagement

Die ersten Gebärdensprachbücher

Intensive Mitarbeit bei Schaffung der ersten Gebärdenbücher bei der „Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen'' (1973-1995). Ergebnisse dieser Arbeit waren: „Das blaue Gebärdenbuch“, „Deutsches Gebärdenlexikon“ (Bd. 1-3), das „Fachgebärdenlexikon Psychologie“.

Abb.5: Das blaue Gebärdenlexikon

(Internationale) Fach- und Gastvorträge

  • Seit 1958 jedes Jahr 1-2 Referate über Gebärden der Gehörlosen und Psychologie der Gehörlosen, vor Taubstummenlehrern, Ärzten und Psychologen im Psychologischen Seminar an der Universität München auf Einladung von Professor Hofmarksrichter. Nach Gründung des Seminars für Gehörlosenpädagogik in der pädagogischen Universität München jedes Jahr ein Vortrag über gleiche Themen bis 1978.
  • Vortrag beim „Internationalen Kongress für Bildung und Erziehung Hörgeschädigter in Hamburg 1980“ über „Die eheliche Integration der Hörgeschädigten“.
  • Gastvorträge an den Universitäten in Köln, Hamburg, Italien und Budapest über Gebärdensprache und Gehörlosenprobleme.

Institutionelles

Einsatz zur Gründung einer Realschule für Gehörlose in München mit Eingabe an das Bayrische Kultusministerium.

 

3. Sport

Der Sport war eine lebenslang wichtige Konstante im Leben Gottfried Weileders. Er engagierte sich international, nahm an Wettkämpfen teil und gründete den Verein der Bergfreunde München e.V.; das zugehörige Logo wurde von ihm entworfen.

  • 15 Jahre lang Skileiter des Sport-Weltverbandes der Gehörlosen „CISS“; („Comite' International des Sports Silencieux“);
  • 1967 Mitorganisation internationalen CISS Winterspiele in Berchtesgaden (Bereich Ski)
  • Skihüttenpächter auf der Unteren Haushameralm am Stolzenberg Oberbayern
  • Skikursveranstalter und Skilehrer für Gehörlose über 20 Jahre.
  • Skiwart des „Deutschen Gehörlosen Sportverbandes" 15 Jahre.
  • Gründer der Bergfreunde München e.V.

 

Abb.6: Entwurf des Bergfreunde München Logos; gestaltet von Gottfried Weileder.

 

4. Glaube & Gemeinschaft

Die fachlichen Vorträge hielt Gottfried Weileder auch vor Gehörlosen-Seelsorgern aus Deutschland, Schweiz und Österreich. Er informierte über die Notwendigkeit des Gebärdengebrauchs bei Predigten – denn gerade Gehörlose, die gesellschaftlich stark ausgeschlossen sind, brauchen starke Gemeinschaften. Sein soziales Engagement ging so weit, dass er auch die Betreuung drei stark benachteiligter Gehörloser übernahm.

  • Vorträge im Katholischen Verband und vor Gehörlosen-Seelsorgern
  • Vorträge und Teilnahme am Vereinsleben verschiedener Gehörlosenvereine: GMU, Landesverband Bayern, Hufeisen e.V., Ortsverband der Gehörlosen Cham e.V.
  • Betreuung eines gehörlosen Doppelmörders in der JVA Straubing
  • Betreuer eines gehörlosen Parkinson-Kranken bis zum Tode
  • Betreuer einer gehörlosen Seniorin bis zum ihrem Tode

 

5. Kunst

Eine private Leidenschaft war die Kunst. Die Bilder wurden im Laufe seines Lebens öfters ausgestellt. Die Teilnahme an der internationalen Ausstellung in Moskau 1991 war eine besondere Auszeichnung.

Abb.7: Ausstellung in Moskau, 1991.

 

Abb.8: Ausstellung in Leipzig, 1990.

  • 1989 Internationale Kunstausstellung Gehörloser in Loano, (Ligurien, Italien)
  • Internationale Kunstausstellung Gehörloser in München
  • 1990 Deutsches Kunstfestival der Gehörlosen in Leipzig
  • 1991 Internationale Kunstausstellung der Gehörlosen in Moskau, Russland
  • Europäisches Festival für Gehörlosenkultur, Workshop, Dublin, Irland 1992 Internationale Kunstausstellung der Gehörlosen in Paris, Frankreich
  • Deutsches Kunstfestival der Gehörlosen in Kiel 1993
  • Deutsche Kulturtage der Gehörlosen in Hamburg
  • Eigene Ausstellung in Frankental, Gehörloseninstitut
  • 1994 Weltkongress der Gehörlosen mit Kunstausstellung Wien, Österreich
  • Kunstausstellung und Kulturtag der Gehörlosen Berlin
  • Kunstausstellung des Caritasverbands in Regensburg
  • 1995 Kulturtag Oberbayern der Gehörlosen in Traunstein
  • Ausstellung bei der LLL-Tagung in Kaufbeuren

 

Beruflicher Weg

  • *20.03.1919 Zeholfing (Niederbayern) – †03.2018 Bogen (Niederbayern)
  • 1927-1932 Gehörlosenschule München; (mit 13 Jahren entlassen.)
  • 1932-1937 Lehrling als Glas- und Porzellanmaler bei Hans Zipper, Elvirastr. 4, München
  • ab 1937 Landkarten- / Katasterzeichner im Bayrischen Landesvermessungsamt München
  • 1939 Innsbruck Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen
  • 1940-1942 Höhere Technische Schule Wien (Abschluss als Ingenieur für Vermessungstechnik)
  • 1942-1945 Rückkehr nach München. Im Kriegseinsatz für die Firma BBC (Brown, Boveri & Cie.) Stromleitungsplanung für Überlandleitungen Trostberg, Kufstein, Landshut
  • 1945-1946 Lehrling bei Otto Werner Schreinermeister
  • 1947-1948 Lehrling Martin Buchmeier – Ladeneinrichtungen, Schaufensteranlagen, Inneneinrichtungen
  • 1949 angestellt bei Architekt Hermann Kaiser in Miesbach
  • 1950-1980 Angestellter im Bayrischen Landesvermessungsamt München; dort Ausbilder der gehörlosen Dienstanfänger und Beamtenanwärter im Bereich Kartographie.
  • 1980 Pensionierung

 

Gründungen und Mitgliedschaften

  • Mitglied im Münchner Taubstummen-Turn- und Sportverein
  • Verbandsjugendwart und -skifachwart im Deutschen Gehörlosen‑Sportverband
  • Gründungsmitglied und 2 Jahre Vorstand „Gehörlose Bergfreunde München e.V.“
  • Vorsitzender der Gehörlosen Katholischen Gemeinschaft München
  • Mitglied in verschiedenen Gehörlosenvereinen: GMU, Landesverband Bayern, Hufeisen e.V., Ortsverband der Gehörlosen Cham e.V.
  • Präsident der technischen Kommission im Weltsportverband CISS (Bereich Ski)
  • Mitgründer des Bildungswerkes für erwachsene Gehörlose der vhs Straubing
  • Vorsitzender und Schriftführer im Bezirksverband der Gehörlosen Oberpfalz

 

Wichtigste Würdigungen

  • 1990 Heinrich-Siepmann-Sportplakette des Deutschen Gehörlosen-Sportverbands
  • 1992 Verleihung des Bundesverdienstkreuz am Bande
  • 2003 Verleihung der Ehrenabzeichens Gold des Bayrischen Landesverbands Sport

 

Urheberrechte

Text: Cornelia Weileder
Fotografien: Familie Weileder